Kommunale Finanzen - der Frust hat System

Kommunale Finanzen - der Frust hat System

Wer sich mit Kommunalpolitik beschäftigt, stellt schnell fest: Es geht fast immer um Geld und es wird der Mangel verwaltet. Das gilt jedenfalls für einen Großteil der Kommunen. Ich bin seit November 2021 Ratsherr im Hamelner Stadtrat. Hier nun meine Erkenntnisse, die ich aus der Beschäftigung mit dem System der kommunalen Finanzen gewonnen habe.

Eine Kommune muss auf einen ausgeglichenen Haushalt hinwirken, vgl. § 110 NKomVG. Wenn also eine Kommune ein Haushaltsdefizit ausweist, dann muss sie dieses Defizit abbauen und die Kommunalaufsicht achtet darauf, dass sie diese Aufgabe auch ernst nimmt. Gespart werden muss daher in der Regel auf Ausgabenseite oder es werden Hebesätze erhöht. Hebesätze sind ein kommunaler Multiplikator, der bei kommunalen Steuern von den Gemeinden festgesetzt wird.

Die Zweiklassengesellschaft der Ausgabenseite

Der Kern der Sparmaßnahmen betrifft regelmäßig die Ausgabenseite. Wichtig ist dafür die Unterscheidung zwischen freiwilligen Leistungen und Pflichtaufgaben. Eine Kommune muss alle Pflichtaufgaben erfüllen und wenn Geld "übrig" ist, dann darf die Kommune freiwillige Leistungen bezahlen. Man ist sich einig, dass eine Kommune ganz ohne freiwillige Leistungen keine echte Selbstverwaltung mehr hat. Aber wo diese Grenze ist, bleibt regelmäßig offen, so dass ausreichend Druck auf kommunale Entscheidungsträger ausgeübt wird, die freiwilligen Leistungen zu streichen, wenn ein Haushaltsdefizit vorliegt.

Zu den Pflichtaufgaben gehören beispielsweise Dinge wie die Feuerwehr, die meisten Aufgaben des Bürgeramtes, das Ordnungsamt, die Baubehörde, die Straßenbehörde, die Friedhofsverwaltung, das Standesamt oder die Durchführung von Wahlen.

Freiwillige Leistungen sind Dinge wie Schwimmbäder, alle Aufwendungen für Kultur (Stadtbücherei, Museum, Theater, Dorfgemeinschaftshäuser) oder auch Kinderbetreuung über die Pflichtzeiten hinaus. Dazu gehören aber auch die Volkshochschulen, die Sportförderung oder Jugendzentren. Konkret für Hameln sind etwa Zuschüsse an die Hochschule Weserbergland, Radio Aktiv oder die HMT sind freiwillige Leistungen.

Im Zweifel werden die freiwilligen Leistungen dann gestrichen, damit die zusätzlichen Aufwände im Bereich der Pflichtaufgaben wahrgenommen werden können.

Das Mathäusprinzip als Kernfaktor auf der Einnahmenseite

Die Ertragsseite der Kommunen ist im Detail komplex. Die Grundzüge jedoch sind schnell erklärt. Es gibt vier große Einkommenströme:

A) Gewerbesteuer

Hier hängen die Einnahmen maßgeblich von den angesiedelten Gewerbebetrieben ab. Wer viel Platz für die Ausweisung von Gewerbeflächen hat, gewinnt. Kommunen mit einer guten Haushaltslage können sich niedrige Hebesätze leisten, die weitere Unternehmen anziehen.

B) Grundsteuer

Die Grundsteuer bemaß sich nach dem Wert der Grundstücke in einer Gemeinde. Hierbei wurden Werte aus den 60ern verwendet, die alle 6 Jahre aktualisiert werden sollten. Das wurde nicht getan, was zur verfassungswidrigkeit des Systems führte. Bei der Lösung soll die Grundsteuer nun "aufkommensneutral" reformiert werden. Da die Grundstückswerte vorallem in Ballungsräumen gestiegen sind, zahlen die Ballungsräume also im Verhältnis zum Wert weiterhin eine geringere

Grundsteuer als die ländlichen Gebiete. Da die Grundsteuer auf Mieter umgelegt wird, kann man sich fragen, ob das grundsätzlich eine sinnvolle Regelung ist, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Kommunen mit einer guten Haushaltslage können sich hier ebenfalls niedrige Hebesätze leisten.

C) Einkommensteuerzuweisungen

Hier wird ein Schlüssel aus den Einkommensteuerzahlungen in der Kommune gebildet, nach der dann der kommunale Anteil der Einkommensteuer verteilt wird. Hohe Lohnniveaus führen also zu mehr Zuweisungen. Gleichzeitig gibt es aber einen Deckel, so dass sehr hohe Einkommen das System nicht verzerren. Soweit man aber Einwohner hat, die keine Steuern zahlen, gehen sie auch nicht in diesen Schlüssel ein.

Exkurs: Wir nehmen ein Bundesland mit zwei Kommunen mit je 10 Einwohnern. Eine Kommune (A) hat einen Einkommensmilionär und 9 Empfänger von Transferleistungen, die andere Kommune (B) hat 10 Einwohner mit je 100.000 Euro Einkommen. Die Verteilung wäre nun so, dass Kommune A 1/11 der Gelder bekommt und Kommune B 10/11 der Gelder aus dem Aufkommen der Einkommensteuer bekommt. Dabei zahlen die Steuerpflichtigen in der Kommune B übrigens knapp 330.000 EUR Einkommensteuer und in der Kommune A knapp 430.000 EUR Einkommensteuer.

D) Allgemeine Zuweisungen

Diese richten sich nach der Einwohnerzahl. Dabei bleibt es aber nicht, sondern es wird noch ein Faktor dazugenommen, der bei großen Städten über 1 liegt und bei kleinen Gemeinden unter 1 liegt. Nun wissen wir, dass Skaleneffekte eigentlich anders funktionieren. Große Städte profitieren darüber hinaus von vielen Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor (Ministerien/Universitäten etc.). Jetzt muss man sagen, dass größere Städte allerdings oft Infrastruktur (zB ein Theater oder Museen) vorhalten, die auch von den umliegenden Gemeinden genutzt wird. Großstädte haben aber oft das Glück, dass die örtlichen Kulturangebote direkt aus dem Landeshaushalt bezahlt werden (zB Theater oder Museen).

Das ist ungerecht, wo bleibt die Revolution?

Der Grundgedanke des Systems ist, dass Kommunen in einen Wettbewerb treten. Das erscheint mir sinnvoll und richtig. Allerdings können Kommunen in der heutigen Zeit viele Erfolgsfaktoren nicht mehr selbst beinflussen. Eine Kommune hat kaum einen Einfluss auf ihre Anbindung an eine Autobahn oder Fernverkehr. Eine Kommune, die in Schieflage geraten ist, kann (jedenfalls derzeit noch) nicht den Weg in die Insolvenz antreten und nach einer Karenzzeit neu anfangen. Bei den Hebesätzen gibt es einen Mechanismus, zu Gunsten von Gemeinden mit hohen Hebesätzen (der ähnlich auch bei der Grunderwerbssteuer für die Länder verwendet wird), aber das würde hier ebenfalls den Rahmen sprengen.

Das süße Gift der Förderprogramme

Die Antworten der Landes- und Bundespolitik auf diese strukturelle Finanzierungsprobleme von Kommunen sind "Förderprogramme". Wenn man den Kommunen mehr Geld geben würde, dann würden die aus Sicht der "echten Parlamente" das ja nur für "die falschen Dinge" ausgeben. Manche von uns kennen das von Eltern, die der Auffassung sind, man gebe den eigenen Kindern kein Geld, weil sie sonst alles für Süßigkeiten ausgeben würden.

Man gibt also ein Ziel vor und hinterlegt Mittel. Schon kann man sich von den Zeitungen feiern lassen, man tue etwas beispielsweise für Radwege, indem man X Millionen bereit gestellt hat. Die lästige Planung und Umsetzung übernehmen die Kommunen mit eigenem Personal. Natürlich braucht man ein formelles Antragsverfahren, einen Kontrollmechanismus und natürlich einen Eigenanteil der Kommune, denn sonst macht die Kommune wieder Quatsch.

Für Landes- und Bundespolitik hat dieses Vorgehen eine Vielzahl von Vorteilen:

  1. Da man sich nicht um die Umsetzung kümmern muss, dann man in höherer Frequenz "Wohltaten" ankündigen.
  2. Klappt etwas nicht, dann sind die Kommunen mit der "fehlerhaften Umsetzung" verantwortlich.
  3. Förderprogramme können eingestellt werden oder neu zugeschnitten werden.
  4. Werden Fördermittel nicht abgerufen, so können die gleichen Mittel mehrfach für positive Schlagzeilen sorgen.

Die Nachteile liegen vor allem bei den Kommunen:

  1. Statt sich um die Umsetzung von Aufgaben zu kümmern, müssen sich die Mitarbeiter darum kümmern, Förderprogramme zu suchen und zu begleiten.
  2. Fördermittel sind oft nur zeitlich befristet. Das bedeutet für Personen die mit solchen Mitteln angestellt werden befristete Arbeitsverträge.
  3. Kommunen können sich auch nicht darauf verlassen, dass es bestimmte Förderprogramme in drei Jahren noch gibt. Also werden Maßnahmen, die eigentlich erst in ein paar Jahren notwendig wären, vorgezogen.

Was müsste eine Reform beachten?

Aus meiner Sicht eignen sich sich volatile Einkommensquellen nicht für die Finanzierung von kommunalen Haushalten. Die Ausgabenseite hat neben übertragenen Aufgaben den Kern in der Darseinsvorsorge. Diese ist jedoch nicht gleichlaufend zur wirtschaftlichen Entwicklung, sondern allenfalls antizyklisch. Damit ist die Gewerbesteuer schlecht geeignet. Eine Grundsteuer, die auf Wohnfläche abstellt, lässt außer acht, dass die zusätzlichen qm in "schlechteren" Wohnlagen oder auf Land durch andere Nachteile "erkauft" werden. Eine Grundsteuer, welche sich am hart am Grundstückswert orientiert würde Stadtbevölkerung über die Gebühr belasten.

Interessant fänd ich ein Modell, welches "rollen- oder bedürfnisorientiert" arbeitet und Luft für Experimente lässt.

Man könnte sich das vorstellen, wie die Berechnung des Bürgergeld-Regelsatzes, nur dass bei einer größeren Anzahl von Leuten die Unplausibilitäten im Einzelfall keine Rolle spielen. Es gibt also für alle Kinder unter 6 einen bestimmten Betrag, der sich aus Teilbeträgen für Spielplätze, Kinderbetreuung, Familienhilfe etc. zusammensetzt. Wenn eine Gemeinde dabei Aufgaben von überregionaler Bedeutung wahrnimmt (etwa durch einen Vergnügungspark oder eine Kinderkrankenhaus, gibt es dafür einen zusätzlichen Betrag, der sich an den Kindern im Einzugsgebiet orientiert statt nur an den Kindern in der Gemeinde). Das ist sicher nur ein erster Gedanke. Im Kern geht es hier um die Problembeschreibung, nicht um die Lösung. In einem ersten Schritt würde ich mir wünschen, dass das Problem gesehen wird.

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